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http://diaries.teddyaward.tv/2009/index2.asp?KategorieID=1067&InhaltID=1946


Sun, Feb 08

TEDDY TODAY

Grande Dames und filmische Grenzgänge

Der heutige Tag ist zwei sehr starken Frauen gewidmet: Barbara Hammer und Monika Treut. Beide Frauen kennen sich seit über zwanzig Jahren. Beiden gemeinsam ist die große Liebe zum Film und ihre unverzichtbare Pionierarbeit zum Thema Feminismus, Geschlechterrollen und -konstellationen im Film. Und beide sind TEDDY AWARD-Preisträgerinnen.

Die US-Amerikanerin Barbara Hammer ist nicht nur für ihre bahnbrechenden experimentellen Filme bekannt, sondern auch als Regisseurin der allersten Lesbenfilme überhaupt (Dyketactics von 1974 und Woman I love von 1976). Die 69-jährige Hammer, die es weder als uncharmant empfindet, dass man ihr Alter nennt, noch Probleme damit hat über Sexualität zu sprechen oder die Narben an ihrem Körper zu zeigen, erkrankte schwer an Unterleibskrebs, der mit einer äußerst aggressiven Chemotherapie bekämpft werden musste und sie komplett auf sich selbst zurückwarf. Sie habe sich in diesem Moment tief in sich zurückgezogen und in dieser Zeit zum ersten Mal verstanden, was das Prinzip Hoffnung eigentlich bedeutet, wie es sich anfühlt, überhaupt Hoffnung in sich zu tragen. Wer dieser humorvollen, mädchenhaften Person während der Berlinale begegnet, kann sich kaum vorstellen, dass diese Frau in ihrem Leben nie gehofft haben soll. Doch unterhält man sich mir ihr, begreift man schon nach kurzer Zeit, wie sie das meint.


Barbara Hammer lebt im Moment, sie ist existentiell, kennt keine Angst, gibt immer einhundert Prozent und sprüht vor Offenheit. Und auch wenn die Hoffnung etwas Positives ist, das in Richtung Zukunft verweist, wird sie aus Sorgen und Ängsten geboren. Und das war es, was das starke Gefühl während dieser Krankheit in ihr ausgelöst hatte. Wenn man im Alter von fast siebzig Jahren zum ersten Mal bewußt mit dem eigenen plötzlichen Tod konfrontiert wird, verändert das etwas Entscheidendes im Leben, im Selbstverständnis.


Video: Interview Barbara Hammer "A Horse is not a Metaphor"

Und genau diese Auseinandersetzung spiegelt Hammers jüngster Experimentalfilm wieder, "A Horse is not a Metaphor", der im Programm des Forum Expanded läuft, das sich vor der Ausnahmekünstlerin auf die schönste Weise verneigt: Neben drei weiteren Filmen hat das Forum Expanded eine Live-Performance der Künstlerin und eine Ausstellung innerhalb der Berlinale organisiert. Schliesslich blickt Barbara Hammer auf ein Lebenswerk zurück, das mittlerweile mehr als 80 Filme und unzählige Exponate umfasst, deren Bedeutung und Tragweite in den nächsten Monaten mit mehreren internationalen Ausstellungen Rechnung getragen wird.

BARBARA HAMMER
Live Performance
CHANGING THE FACE OF FILM: AVAILABLE SPACE AND BENT TIME
reprised from 1979-1983
Sunday Feb. 8th, 18:00
Hamburger Bahnhof
Invalidenstr. 50-51

Exhibition
FILM SCROLLS
at the Forum expanded exhibition
at Filmhaus
Potsdamer Str. 2 / Basement Atrium

Die Filmemacherin Monika Treut (u.a. Female Misbehavior, Gendernauts, Kriegerin des Lichts) setzt sich in ihrem neuen Film, der im diesjährigen Panorama-Programm läuft, ebenfalls mit dem Thema Tod auf die ihr ganz eigene, vor allem durch den Dokumentarfilm geprägte Weise auseinander: Vom Dokumentarfilm kommend besitzt sie ein sehr großes Feingefühl für Tendenzen, Zwischentöne und eine feine Beobachtungsgabe. Nach Jahren hat Monika Treut wieder an einem Spielfilm gearbeitet, wie immer selbst verantwortlich für Drehbuch, Regie und Produktion.
 
 

Joey Arias
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23rd TEDDY AWARD CEREMONY
February 13th 2008, 9 pm
HAUS DER KULTUREN DER WELT
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Doch warum liegt ihr letzter Spielfilm bereits mehr als zehn Jahre zurück?
"Für mich ist der Reiz beim Dokumentarfilm immer das Abenteuer, eine Reise mit ungewissem Ausgang anzutreten. Weil der Dokumentarfilm in Deutschland in den letzten Jahren durch die Fernseh-Sender - ohne deren Beteiligung ja fast nichts mehr geht - sehr formatisiert wurde, hatte ich wieder Lust im Spielfilmbereich zu arbeiten. Im Moment scheint mir im Low-Budget-Spielfilm mehr Freiheit zu sein, ungewöhnliche Geschichten zu erzählen", sagt Monika Treut.

"Ghosted" Filmplakat

Und Ghosted (Ai-mei) erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe, die Brücken schlägt zwischen zwei Städten und zwei Kulturen, die unterschiedlich mit Abschied und ihren Toten umgehen. Anders als in Deutschland ist in Taiwan die Welt der Toten nicht von der der Lebenden getrennt. Wenn der Geistermonat anfängt, wird das Tor zwischen der Welt der Toten und der Lebenden geöffnet. Die beiden Welten sind sehr eng verbunden. „Im chinesischen und taiwanesischen Kino kehren die Geister der Toten zurück, um sich zu rächen. Sie sind Wesen außerhalb der Ordnung, vor allem die weiblichen Geister der unterdrückten Frauen haben nun alle Freiheiten: Endlich können sie ihren eigenen Wünschen folgen, erotisch, wagemutig, zielstrebig und bezaubernd sein.“

Video: Interview Monika Treut
Director "Ghosted"

Monika Treut, die 1984 zusammen mit der Regisseurin und Kamerafrau Elfi Mikesch die unabhängige Produktionsfirma Hyäne I/II (heute Hyena Films) in Hamburg gründete, hat eine Vorliebe für außergewöhnliche Dinge. So ist es ausgerechnet der Namensgeber ihrer Filmproduktion, den sie zu ihrem Lieblingstier erkoren hat. Dabei gilt die Hyäne allgemein als hässlich, ein Tier, das sich von Aas ernährt, ein Nutzniesser vom Jagdergebnis anderer Tiere. Doch die Hyäne ist ein stolzes und vielschichtiges Tier, vor allem sind es die Tüpfel-Hyänen, die auch den Kampf mit größeren Tieren aufnehmen und sich selbst als Jäger betätigen. Die weiblichen Hyänen sind es, die in der Gemeinschaft den dominanten Part übernehmen, sie haben die grössere und kräftigere Statur, sogar ihre Geschlechtsorgane ähneln äußerlich denen der Männchen. Das ist es, was Monika Treut fasziniert: Das scheinbar abschreckende Äußere, das aber wenn man genauer hinschaut eine ungewöhnliche Schönheit besitzt, die scheinbar nicht nur beide Geschlechtsmerkmale, sondern auch die Besonderheiten mehrerer Tiere miteinander verbindet. Schliesslich haben Tüpfel-Hyänen nicht nur eine Rückenmähne wie ein Zebra, sie laufen auch noch im Paßgang eines Pferdes. Sicher hat diese Vorliebe für die Hyäne auch mit Monika Treuts großem Genderthema zu tun. Monika Treut ist Grenzgängerin, im Film, in den Geschlechterrollen und den Kulturen und hat über mehr als zwei Jahrzehnte nicht nur die Geschichte des Dokumentarfilms, sondern auch des Frauenfilms entscheidend mitgeprägt.

Die Filme von Monika Treut besitzen eine seltene Qualität: Sie erschaffen Möglichkeiten. Begegnungen, Austausch, Entdeckungen, Einweihung: Jeder Film ist eine Einladung, einen Horizont ungeahnter Weite zu erforschen. Hamburg, New York, San Francisco, Mexiko City. In den Filmen der Treut gibt es eine erstaunliche Geographie der Menschlichkeit, die Länder und Personen vermischt. Sie überquert die traditionellen Markierungen des Kinos, sie überschreitet die Grenzen des deutschen Kinos und die herkömmlichen Gesetze des Spiel- und Dokumentarfilms.

- Frédéric Strauss: "Multiple Identitäten", Paris 1999

Ein Grenzgänger zwischen den Film-Genres ist auch der kanadische Filmemacher Trevor Anderson, der zwischen Musik, Visuals, Animationen und Film sein Experimentierfeld gefunden hat. Für seine ganz besondere Sicht auf die Welt, seine ganz besondere filmische Herangehensweise an sozialkritische Themen und seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn wurde er deshalb auf dem ´Hot Docs Canadian International Documentary
Film Festival´ in Toronto geehrt.

Video: Interview Trevor Anderson

Auf der Berlinale ist er in diesem Jahr mit einem Film vertreten, der nur entstanden ist, weil er per E-Mail aufgrund seiner Homosexualität beschimpft wurde. „Warum haut Ihr Homosexuellen nicht alle auf eine Insel ab und steckt Euch dort gegenseitig mit AIDS an?“, hieß es da. Seine ungewöhnliche filmische Antwort auf diese Frage wurde von den Berlinale Shorts wegen seiner Konsequenz und Leidenschaft auf die 59. Berlinale eingeladen und geht nun in der Kategorie als Bester Kurzfilm ins Rennen um den TEDDY AWARD.