Sat, Feb 11
TEDDY TODAY
Column by Holger Wicht2. Tag: The Door in the Floor Heute ist der richtige Tag, um über Berlin zu sprechen. Schließlich haben wir jetzt Gäste aus aller Welt, die täglich staunend auf unsere Stadt schauen. Und in gewisser Weise sind wir selber unsere eigenen Gäste. Denn das Berlin der Berlinale-Zeit ist nicht das gleiche Berlin, in dem wir sonst leben. Gäste wie Berliner haben die Stadt neu betreten – durch eine Falltür, die sie ausgerechnet am Postsdamer Platz ins Tageslicht klettern ließ, also nicht im engeren Sinne in Berlin. Vor dem Fall der Berliner Mauer verlief hier der Todesstreifen. Anders formuliert: Vor der Landung westlicher Raumschiffe, gab es dort kein Leben. Mit dem Kollegen Rehberg streifte ich also um die Neubauten, wie Touristen es tun. Kollege Rehberg mag die Hochhäuser, die so aussehen wie New York in Legoland, vor allem diese historisierenden Industrie-Charme-Bauten, deren Backsteinfassaden uns charmant belügen: es sind bloß zugeklinkerte Betonkästen. Kollege Rehberg findet sie trotzdem schön, bemängelt aber, dass sie noch zu niedrig sind. Er wünscht sich Wolkenkratzer, die auch an den Wolken kratzen. Kollege Rehberg hätte gern ein bisschen mehr New York in Berlin, weil er zehn Jahre in New York gelebt hat und Millionenstädte liebt. Ich liebe Berlin aus einem anderen Grund: Es besteht aus einem Haufen gemütlicher Kleinstädte, die mehr oder minder zufällig zusammengewachsen sind. Trotzdem gibt es hier ALLES: Jede erdenkliche Nationalität, Kultur jeder Art und skurrilste Religionsgemeinschaften. Und nicht zuletzt: Homo-Welten für jeden Geschmack, vom Nadelstreifenbänker bis zum Punk, der kitschiges Liedgut liebt. Wer mag, kann zum Beispiel heute Abend im alternativen Ackerkeller eine „Schlager-Nackt-Party“ besuchen.
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Die Filmfestspiele erwecken den Potsdamer Platz zum Leben wie ein Marionettenspieler seine Puppen. Eine warme Stimmung mischt sich in den kalten Wind zwischen den Hochhäusern und wird von allen begierig geatmet: Festival-Geist. Permanent kommen Menschen miteinander ins Gespräch, was sonst nicht des Berliners Art ist. Der Hauptstädter gilt als ruppig, und nur Kenner entdecken die Herzlichkeit hinter der Fassade. Beim Berliner ist der Klinker hässlicher als der Kern. Es braucht sich also niemand zu erschrecken. Warmherziges Plaudern auch gestern Abend in der Homebase Independent Lounge in der Köthener Straße. Da wurde die TEDDY-JURY offiziell willkommen geheißen, und alle strahlten. In solchen Momenten ähnelt die Berlinale einem Klassentreffen: Endlich sieht man sich wieder. Es gibt kaum jemanden, der keine Einladungen für irgendeine Party oder einen Empfang austeilt. Lesbische Coolness und schwules Beutedenken sind außer Kraft gesetzt: Man ist gemeinsam hier bei Bier und Bionade (für Nicht-Deutsche: das biologisch korrekte Trendgetränk der Saison, versuchen Sie unbedingt zuerst die Geschmacksrichtung Hollunder!)
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