Fri, Feb 06
TEDDY TODAY
Was unsere Herzen berührt...Es ist wieder so weit, die 59. Internationalen Filmfestspiele haben in Berlin begonnen. Am Potsdamer Platz werden alle Ampeln ignoriert, die Autoschlangen richten sich nach den Fußgängern. Und sobald ein Autofahrer auch nur eine Lücke zulässt, strömen sie wie die Ameisen an den unmöglichsten Stellen über die Strassen. Dazu wechseln die Reklametafeln im synchronen Takt zwischen dem offiziellen Filmplakat der Berlinale und den Ankündigungen der Filme, für die der Berlinale-Gänger waghalsig sein Leben riskiert. Weil das Überrennen einer roten Ampel in diesen Tagen einfach dazu gehört, denn um nichts in der Welt möchte man die Premiere des Filmes verpassen, für den man sich am Counter die Beine in den Bauch gestanden hat oder die Live-Übertragung, wenn die diesjährige Jury-Präsidentin, Oscar- und TEDDY- Preisträgerin Tilda Swinton der internationalen Presse Rede und Antwort stehen muss. |
| TILDA SWINTON - TEDDY AWARD WINNER
President of the International Jury 2009 |
Nach dem gestrigen Eröffnungsfilm (Tom Tykwers "The International") sind die Gäste der Berlinale, ihre Macher, ihre Stars und Sternchen und ihre Liebhaber in den Fahrstuhl gestiegen, um in diese nach eigenen Regeln tickende Welt abzutauchen. Der Potsdamer Platz ist in der Tat gerade eher mit einem der schönsten Korallenriffe der Welt vergleichbar, die von den schillerndsten und ungewöhnlichsten Fischen bewohnt werden, ein Korallenriff wie es ein Walt Disney gezeichnet hätte. Hier geht es um den absoluten Augenblick, darum Teil eines grosse Ganzen zu sein und natürlich ums Kino. Das ist ein in verschiedenfarbiges Licht getauchtes Refugium, allerdings auf geborgte Zeit. Deshalb ist es auch so intensiv, Teil dessen zu sein. Das hat etwas mit unseren ureigenen Sehnsüchten und großen unkontrollierten Gefühlen zu tun. Die Berlinale bietet ihnen die perfekte Projektionsfläche. Dieses Refugium ist so vielschichtig, dass wir auch in diesem Jahr wieder versuchen werden Euer Tauchguide zu sein, denn neben den großen bunten und schillernden Fischen, gibt es auch jene Perlen, die in Alltagsklamotten in einem der zahlreichen Kinos sitzen, die deren Schönheit und Vielschichtigkeit wie eine Muschel beschützt.
Schon im Vorfeld war das Team der Panorama-Sektion diesen Perlen auf der Spur und hat in diesem Jahr wieder unglaublich schöne Exemplare ans Tageslicht befördert. Noch nie wurden so viele Filme bei der Berlinale eingereicht: mehr als 6000, davon allein 3459 Filme beim Panorama. Panoramachef Wieland Speck war in diesem Jahr ziemlich früh zufrieden mit seiner Auswahl, bei der er stets auf Vielschichtigkeit achtet, Tendenzen aufspürt und neben großen Produktionen auch kleinen Filmen die Möglichkeit gibt, vor einem internationalen Publikum ihre politische Brisanz, Schönheit, aber auch Radikalität zu entfalten. Von den 50 Filmen im Panorama-Programm stehen in diesem Jahr allein 27 in einem queeren Kontext. Speck: "Wir zeigen Filme, die andere Blicke auf Regionen wie Kaschmir, Pakistan, Indonesien, aber auch die palästinensischen Gebiete freigeben. |
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In einem der Dokumentarfilme, City of Borders, klettern junge Lesben und Schwule durch den Stachldrahtzaun, um auf die jüdische Seite von Jerusalem an einen Ort zu gelangen, an dem sie einfach nur sie selbst sein dürfen. Der Film fühlt sich wie eine Umkehrung der Geschichte an. Überall hört man, dass die Palästinenser von den Israelis drangsaliert werden und plötzlich gibt es diesen Film. Israel befindet sich in einer Klammerlage, wo eigentlich nichts mehr geht. Man landet immer wieder in der Sackgasse: Es gibt Krieg, Menschen sterben, ein Friedensvertrag wird geschlossen und dann beginnt alles wieder von vorn. Betrachtest Du das aber aus einer schwul-lebischen Sicht verkehrt sich das Ganze. Wir haben auch einen Kurzfilm zu diesem Thema im Programm, "Gevald" (Gewalt). Zusammen mit diesen beiden Filmen zeigen wir einen anderen kurzen Dokumentarfilm aus Bosnien Herzegowina, Queer Sarajewo Festival 2008. Weiß denn hier jemand, dass die Leute dort daran gehindert wurden, zur Eröffnung des Filmfestivals zu gehen, daß man Menschen zusammengeschlagen, sie aus den Autos gezerrt und bis nach Hause verfolgt hat? In Sarawejo ist man mit den schlimmsten faschistischen Methoden gegen dieses Festival vorgegangen." Die noch sehr junge Produzentin dieses, außer Konkurrenz laufenden Filmes, Emina Trumic, sitzt in diesem Jahr auch in der internationalen Teddy-Jury. Selbst durch die Kriegswirren im ehemaligen Jugoslawien entwurzelt, war sie mit ihren Eltern nach Deutschland geflüchtet, nach Kriegsende aber in ihre Heimat zurückgekehrt und etablierte dort zusammen mit anderen Aktivisten das erste Queere Filmfestival, das schon nach wenigen Stunden aufgrund von Gewaltausschreitungen, bei denen 8 Teilnehmer schwer verletzt wurden, abgebrochen werden musste.
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| | The TEDDY AWARD Poster 2009 |
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Am 13. Februar 2009 werden im Rahmen der von Annette Gerlach moderierten Gala im Haus der Kulturen der Welt Filmschaffende ausgezeichnet, die, wie schon Pedro Almodovar, Gus van Sant, François Ozon, Stanley Kwan, Todd Haynes, Heiner Carow, Oscar Preisträgerin Peggy Rajski, Rob Epstein und Jeffrey Friedman, Special TEDDY und Oscar Preisträgerin Tilda Swinton und viele andere vor ihnen, die Welt um queere Themen und Filme bereicherten. |
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TEDDYAWARD.TV interviews members of the TEDDY AWARD Jury |
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Die internationale TEDDY-Jury aus acht schwul-lesbischen Filmemachern und Queer-Filmfestival-Organisatoren sichtet Filme aus allen Berlinale-Sektionen, die in einem queeren Kontext stehen. Der TEDDY wird in den Kategorien Bester Spielfilm, Bester Dokumentarfilm und Bester Kurzfilm vergeben. |
Filme wie diese machen deutlich, dass dieser glamouröse Schutzraum, den die Berlinale bietet, dieses empfindliche Biotop, in einer feindlichen Umgebung existiert, die man nur zu oft wegignorieren möchte. Um so schlimmer, wenn das, was da passiert, eigentlich vor der Haustür stattfindet. Es geht hier aber auch um das Ineinandergreifen von politischen Bedingungen, Lebensumständen, künstlerischer Radikalität und filmischer Poesie, das so nur an bestimmten Orten dieser Welt möglich ist. Neue filmische Erzählweisen entstehen an kulturellen und gesellschaftlichen Grenzen und es sind zumeist die Grenzgänger, die in der Lage sind, aus einer gewissen Existenzialität heraus Neues hervorzubringen, weil sie den Pulsschlag dieses Zeitgeistes an ihrer eigenen Person erlebt haben und ganz existenziell in Kreativität umsetzen. Genau das ist das Lebenselixier des Kinos und ein weiteres Geheimnis so eines Festivals. Wenn hier junge Filmemacher, die zum ersten mal diese Form der Anerkennung erfahren, auf ihre Vorbilder treffen, die vor nur wenigen Jahren selbst noch in ihren Muschelhäusern geschlummert haben, setzt das eine ganz seltsame Energie frei. Brian Harris Krinsky etwa, dessen Kurzfilm "Dish" es in das Programm der Berlinale Shorts geschafft hat, muss sich selbst immer wieder deutlich machen, dass er tatsächlich in Berlin ist. Genau in diesem Augenblick weiß er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat, ohne Rücksicht auf seinen Geldverdiener-Job dem filmisch nachzuspüren, was ihn tatsächlich beschäftigt hat: "Wenn Du einmal losläufst und beginnst das umzusetzen, von dem Du vorher nur geredet oder geträumt hast, gibt es sowieso kein zurück mehr. Wenn Du einmal läufst, kannst Du einfach nicht mehr anders als weiterzulaufen, selbst wenn da plötzlich eine Wand vor Dir steht." Einer seiner Regievorbilder Francois Ozon, der hier vor neun Jahren den TEDDY für "Tropfen auf heiße Steine" erhielt, schreitet zur gleichen Zeit über den roten Teppich als Krinskys 15-Minüter seine Weltpremiere hat. Ozon war vor zehn Jahren eine Entdeckung der Panorama-Sektion, sein Spielfilmdebüt "Sitcom" hatte in Berlin seine Welturaufführung. In diesem Jahr läuft Ozons neuer Film, "Ricky", im Wettbewerb der Berlinale, dessen Jury-Vorsitz in diesem Jahr übrigens auch eine TEDDY-Preisträgerin (1988, 2008) übernommen hat: Tilda Swinton, der es ganz in der TEDDY-Tradition zum Auftakt der 59. Berlinale wichtig war, auf die politische Situation im Gaza-Streifen und die Wichtigkeit der kleinen Filme im Berlinale-Programm hinzuweisen: Sie berühre das Leid im Gaza-Krieg stärker als der bloße Schwund großer Vermögenswerte durch die Finanzkrise. Man müsse mehr zur Förderung kleiner und unabhängiger Produktionen tun und diese dann auch in den Kinos zeigen. Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton, die eine Unterstützerin und Freundin des TEDDY AWARDS ist, hat heute morgen auf der Pressekonferenz, in ihrer Funktion als Juryvorsitzende, ihr Verständnis von einer guten Juryentscheidung noch einmal ganz deutlich gemacht: „Unsere Aufgabe ist es, zu sagen, was unsere Herzen berührt.“ In diesem Sinne möchten auch wir die nächsten zehn Tage mit Euch abtauchen und auf die Suche nach diesen kleinen Perlen gehen, in diesem verrückten Walt Disney-Theater: Verändern kann man nur, wenn man zu den Herzen der Menschen spricht. Und an die rebellische Kraft des Kinos glauben wir.
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